Transalp Tagebuch des Team Bixi

by Marianne Pietsch

1. Etappe: Oberammergau - Imst

Sonntag morgen 9:30 - zum 2ten Mal stehen wir mit über 1000 weiteren Teilnehmern aus über 19 Nationen am Start der Jeantex Tour Transalp in Oberammergau. Dieses Mal haben wir sogar einen Sponsor und starten als Team BIXI. Nervöse Anspannung liegt in der Luft und auch uns packt das Fieber. Klar, die Transalp ist ja auch etwas ganz Besonderes - das größte, schwerste und schönste Jedermann-Rennen in Europa - so hört man. In 7 Etappen geht es dieses Jahr von Oberammergau nach Riva del Garda. 17 Pässe, 18.810 hm und 784,97 km liegen vor uns. Gefahren wird in Teams zu zweit. Die Ambitionen sind ganz unterschiedlich.
team bixi transalp Einige Teampartner fahren als Konkurrenten, andere miteinander. Bei uns steht die Teamleistung im Vordergrund. Wir fahren zusammen vom Anfang bis zum Ende - komme was wolle! Das wir diese Leistung zusammen erbringen können und auch die Schwächen und Tiefpunkte des Partners ausgleichen können, macht diese Veranstaltung für uns erst besonders attraktiv.

Zweifel machen sich breit. Sind wir ausreichend trainiert? Kilometer haben wir ja dieses Jahr schon ganz ordentlich gesammelt, aber die Höhenmeter? War das Training vielleicht zu unprofessionell? Einen richtigen Trainingsplan hatten wir nicht. Ich habe meine Erkältung noch nicht ganz auskuriert, bin ich deshalb vielleicht gar nicht in Form? Muss ich zwischendurch aufgeben? Bernie musste viel arbeiten und konnte weniger trainieren. Holger hat uns ja bereits heute morgen beim Frühstück angekündigt, dass wir seine Startnummer wenn überhaupt nur von hinten sehen würden. Wir haben Holger im Trainingslager auf Mallorca kennen gelernt und er startet wie wir in der Kategorie Mixed. Sind wir dieses Jahr vielleicht sogar unter den langsamsten Mixed Teams? Ist unsere Ambition unter die ersten 10 zu kommen vielleicht völlig aus der Luft gegriffen?

Um 10:00 fällt der Startschuss. Die ersten Kilometer werden neutralisiert gefahren und es bleibt keine Zeit mehr für viele Gedanken. Die oft unvorhersehbaren Bremsmanöver erfordern volle Konzentration, nur nicht gleich auf dem ersten Abschnitt stürzen! Dann wird die Strecke freigegeben und das Feld zieht sich auseinander. Wir finden unseren Rhythmus... Mit 109,43 km und 2226 hm ist die Etappe vergleichsweise einfach und tatsächlich erreichen wir unerwartet schnell den Anstieg zum einzigen richtigen Pass, dem Hahntenjoch. Es sind nur noch 5km bis zur Passhöhe, danach geht es bergab bis zur Zielankunft in Imst. Mir geht es prima und ich würde gerne etwas zulegen. Der bergstarke Bernie gehört ja sowieso zu jenen, denen man neidisch nachschaut, wenn sie die Berge mit anscheinend gespielter Leichtigkeit hinauf fliegen. Bernie aber meint, er sei "ein wenig müde" und wir halten unser Tempo über die nächsten 2 km. Dann wird Bernie schlagartig langsamer und meint, er sei nun "müde", unzählige Radler fahren an uns vorbei. Ein Fragezeichen in meinem, ein gequälter Ausdruck in seinem Gesicht, Diagnose Hungerast. Ich schiebe an und zusammen überwinden wir dann doch irgendwann noch die Passhöhe. Das wird natürlich kein zweites Mal passieren und außerdem ist unsere Plazierung mit Rang 12 doch nicht so schlecht und sogar Holger liegt hinter uns.

2. Etappe Imst - Ischgl

Die heutige Strecke ist anspruchsvoller. 3191 hm verteilen sich auf 146,79 km. Es geht über den Arlbergpass und die Bielerhöhe. Wir fahren den gut hinauf und freuen uns an der rasanten Abfahrt bei sommerlich hohen Temperaturen. Zwischen den Pässen erwischen wir eine starke Gruppe. Zu stark? Die ständigen Tempowechsel rauben meine Kraftreserven und ich beginne zu kämpfen. Was mache ich hier nur? Egal - einfach nur weiter, dranbleiben. Meine Lungen schmerzen und die Luft wird knapp - Tempo halten, ich will nicht auf den Windschatten verzichten! Jetzt auch noch Kopfschmerzen - ich falle langsam zurück. Bernie gibt mir einen schwungvollen Schub von hinten, wir fahren weiter. Endlich beginnt der Anstieg zur Bielerhöhe und ich fahre wieder mein Tempo. Dann geht es abwärts zur Zielankunft in Ischgl.

3. Etappe Ischgl - Scuol

Inzwischen hat sich unser Tagesablauf automatisiert und routiniert gehen wir unser tägliches Programm an. 6.00 aufstehen, 6.30 frühstücken, 7.00 Taschen packen, 7.30 Taschen abgeben, 8.00 Positionieren im Startblock, Rad-Check, Banane, Toilette... 9.00 Start, Zielankunft vor 15.00, 15:30 Massage, 16:00 Hotel finden und duschen, 18.00 Pasta Party, 21.00 Roadbook studieren und Etappe planen, 22.00 Schlafen.

Heute steht mit 101 km und 2223 hm eine kurze Etappe auf dem Programm und ich freue mich auf eine frühe Zielankunft und v.a. auf die daher voraussichtlich lange Regenerationszeit. Wieder einmal richtig faul sein! Schlüsselstelle heute ist die Pillarhöhe. Hier warten Rampen mit über 20% Steigung. Richtig wohl fühle ich mich mit meiner 2fach Übersetzung nicht. Andererseits war die durchschnittliche Steigung mit nur 10% angegeben, die Rampen konnten also wenigstens nicht so lang sein. Das würde schon im Wiegetritt gehen rede ich mir ein. Da ist sie schon, die erste Rampe. Das können nicht mehr als 500m sein, im Wald danach wird es schon flacher werden. Ich beginne sitzend, dann Wiegetritt, dann wieder sitzen. Wir erreichen den Waldrand. Es wird steiler! Ich keuche inzwischen laut - die Pedale drehen sich trotz höchster Anstrengung nur quälend langsam und drohen jeden Moment stehen zu bleiben. Ich gebe mit großer Sicherheit ein fürchterliches Bild ab. Ich hoffe, dass meine Umgebung - da viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt - dies nicht bemerkt. Bernie gibt Unterstützung, schiebt. Da ich aber inzwischen auf ein Tempo von 5km/h abgefallen bin, bewirkt das Schieben mehr Destabilisierung als Vortrieb. So lande ich auch fast im Graben. Endlich wird es dann doch flacher und den restlichen Teil können wir leicht treten. Also doch keine Kapitulation vor der Pillarhöhe. Wie lang die Rampe nun tatsächlich war - keine Ahnung, irgendwann war da nur noch der Tunnelblick....


Wir sind in Ftan, 6 km und 400 hm über dem Zielort Scuol untergebracht. Der freundliche Busfahrer wartet extra auf uns und transportiert auch unsere Räder. Während der Busfahrt freue ich mich auf die Dusche und frische Klamotten. Transalp Taschen stehen sauber aufgereiht vor dem Hotel Bellavista. Wir suchen unsere Startnummer. Dann die Ernüchterung, keine der Taschen trägt die Aufschrift 403. Ohne die Tasche ist man auf der Transalp verloren. Nur die verschwitzen Trikots - sonst nichts! Wir hetzen zurück zur Bushaltestelle und fahren wieder zurück nach Scuol. An der Taschenausgabe teilt man uns mit, dass unsere Taschen gerade auf den Weg geschickt wurden ins Hotel Bellavista, allerdings nicht das Hotel Bellavista in Ftan. Wir sollen uns aber keine Sorgen machen, die Taschen würden sich schon wieder finden. Obwohl die Verwechslung sicher nicht mit Absicht erfolgte, habe ich in meinem inzwischen schon hochgradig gereizten Zustand für die Mitarbeiter nur noch ausgesprochen giftige Blicke übrig. Statt Ausruhen laufen wir dann noch ein paar Stunden durch Scuol - ohne Schuhe auf glühenden Pflaster. Entschädigt werden wir allerdings durch eine tolle Pasta Party auf dem Hausberg über Scuol, alle Teilnehmer werden mit der Bergbahn extra hochgefahren.

4. Etappe Scuol - Pontresina

Heute geht es um die Königsetappe: 3613 hm und 127,62 km . Nach 2 kleineren Anstiegen am Etappenbeginn sollen wir über den Flüela- und den Albulapass fahren. Am Flüelapass sind wir stark. Wir sind voller Tatendrang und der Tritt läuft rund. Gemeinsam ziehen wir an anderen Teams vorbei, ungewöhnlich selten werden wir überholt. Bis Kilometer 85 geht es mir blendend, wir fahren in einer guten Gruppe und kommen leicht weiter. Dann geht es in den Anstieg zum Albulapass, die ersten 2 Kilometer fahren wir schnell in der Gruppe. Ich werde müde, meine Beine schwerer. Ich schaue auf den Computer und berechne noch 20km bis zur Passhöhe. Entsetzt beginne ich zu realisieren, dass ich mich wohl noch fast 2 Stunden den Berg hinauf quälen muss. Unmöglich! Unsere Gruppe ist schon lange auf und davon. Das aufziehende Gewitter unterstreicht meine düstere Stimmung. Dann treffen uns Blitz, Donner und Regen. Ein weiteres Gel bringt auch keine Veränderung der Situation. Meine Beine sind wie Gummi, ich kann machen was ich will, da kommt kein Druck mehr auf die Pedale. Bernie ist auch nicht mehr frisch und so erfüllt sich auch meine letzte Hoffnung, von Bernie über den Pass geschoben zu werden nicht. Nun ja, wir haben es dann doch wieder geschafft. Zum Abschluss erwartet uns dann noch eine 10 Kilometer lange gerade Strecke mit heftigen Gegenwind und ohne Gruppe. Ohne die geringsten Reserven rolle ich nach 5 Stunden und 40 Minuten in Pontresina ein, selbst die letzten 100 Meter leichter Anstieg bis zur Zielgeraden erweisen sich als ein ungewöhnlicher Kraftakt.

Was uns wirklich unbegreiflich erscheint, nach 9 Stunden treffen immer noch Fahrer ein, im strömenden Regen und alleine. Was für eine Leistung, v.a. wenn man bedenkt wie wenig Zeit dann für die Regeneration noch bleibt.

5. Etappe: Pontresina - Bormio

Laut Roadbook stehen 3161 hm und 134 km auf dem Plan. Nach dem Ofenpass geht die Etappe auch über das Stilfserjoch. Der Passo di Stelvio, dieser Name mit den 48 Kehren geistert seit Tagen als Schreckgespenst durch die Mengen. Nach der gestrigen Etappe bin ich recht unmotiviert und muss mich schon am Ofenpass mächtig quälen. Als dann aber der halbe Anstieg zum Stilfserjoch gemeistert ist, geht auf einmal wieder alles. Wir treten konstant die restliche Strecke bei strahlenden Sonnenschein, Kehre um Kehre, Kilometer um Kilometer, wir fliegen förmlich über die Passhöhe und freuen uns über die rasante Abfahrt nach Bormio.

6. Etappe: Bormio - Madonna di Campiglio

Nach sehr viel Sonne und sommerlichen Temperaturen in den ersten Tagen erwischt es uns nun doch noch. Wir starten im Regen. Die Stimmung in den Startblocks ist deutlich gedämpft, die umliegenden Cafes sind gut besucht - noch einmal aufwärmen. Auf dem Gavia erwarten uns Temperaturen um die Null Grad, dann eine 25 km lange Abfahrt im Kurzarmtrikot mit nur dünner Regenjacke. Hände und Füße frieren zuerst ein, dann beginnt auch schon das unkontrollierte Zittern. Dazu kommt ein Gefälle von z.T. über 18%, Schlaglöcher, Steine und Kühe auf der Straße, Tunnel..... Alles in allem eine von diesen Abfahrten, auf denen man sich nichts sehnlicher wünscht als den nächsten Anstieg. Sonst aber geht es uns heute gut. Den letzten Pass der Etappe fahren wir in einer schnellen Gruppe und haben am Ende sogar noch Reserven, um den Sprint für uns zu entscheiden.

7. Etappe: Madonna di Campiglio - Riva del Garda

Die letzte Etappe ist nur 70 km und 1418 hm. Angesichts unserer bisherigen Tagesleistung wirkt das geradezu lächerlich. Andererseits weiß inzwischen jeder, keine Transalp Etappe ist ohne besondere Herausforderung. Heute ist die Herausforderung der Passo Daone. Noch einmal sollen wir auf 6 km mit Steigungen zwischen 12 und 18% kämpfen. Mit unserer Platzierung auf Rang 11 in der Mixed Wertung sind wir nicht unbedingt unzufrieden und ändern können wir auf der heutigen Etappe auch nichts mehr. Sollen wir heute also einmal so richtig gemütlich fahren? Wir sind ja auch noch am nächsten Tag zum 3Länder Giro in Nauders angemeldet. Nein - der Ehrgeiz siegt - wenigstens einmal wollen wir unter die ersten 10 Mixed Teams. Dies ist schließlich unsere Etappe! Die letzten beiden Pässe, den Passo Duron und den Passo Ballino kennen wir wie unsere eigene Westentasche, haben jede Steigung, jede Gerade, jeden Zwischenanstieg, jede Kurve auf der Abfahrt im Kopf. Heute werden wir in Bestform fahren! Ich kämpfe auf den steileren Abschnitten des Daone, verfalle schon wieder in meinen Kameltritt und keuche laut. Bernie warnt "nicht zu viel". Aber nein, heute geht alles, noch 5km, 3km, 2km, 1km, Passhöhe, ohne Stopp weiter zum Passo Duron, die ersten steilen Rampen, dann wird es flacher, höhere Trittfrequenz, treten, treten, treten, Passhöhe, Abfahrt, im Wiegetritt und voller Power auf den 200m langen Zwischenanstieg, dann nur noch die Endsteigung zum Ballino, Abfahrt...
Es ist vorbei, nach 2 Stunden 27 Minuten sind wir sind in Riva. Wir haben es geschafft!! 32 Stunden und 15 Minuten waren wir insgesamt auf dem Rad. Heute kommen wir stolz auf 7ten Platz. Insgesamt erreichen wir Platz 145 von 498 Teams im Ziel und Platz 11 in der Mixed Wertung (54 Teams). Holger blieb übrigens in jeder Etappe hinter uns....

Wir brauchen Zeit um die Tour zu verarbeiten. Zu vielseitig und reichhaltig sind die Eindrücke, das Erlebte, die Freuden und die Leiden. Die Jeantex Tour Transalp ist ein unvergessliches Erlebnis, hart, faszinierend und wunderschön zugleich. Eigentlich ist sie unbeschreiblich.

Unzählige Male während der Tour habe ich mir geschworen "nie wieder", nie wieder die Transalp, nie wieder Jedermann-Rennen, nie wieder Rennrad. Aber wer die Leiden nicht kennt, weiß auch nicht um die Freuden danach. Eine Kombination aus Müdigkeit, Leere, Glück, Stolz und viel mehr. Vielleicht ist es die Ausschüttung einer voller Ladung Glückshormone, die süchtig macht. Und so stehen wir dann auch schon einen Tag später am Start des 3Länder Giro ...